Sarah

Sarah, 21 Jahre,
studiert Geschichte und Kulturen des Nahen Ostens.
Sie hat 2008 an der Talenteschmiede teilgenommen.

Was machst Du zur Zeit?

Ich studiere Sprache, Geschichte und Kulturen des Nahen Ostens, ein Studienfach, das vergleichbar ist mit Islamwissenschaften. Ich lerne Arabisch und dazu unter einem wissenschaftlich-forschenden Aspekt, wie der Islam sich entwickelt hat. Als Nebenfach studiere ich BWL. Als ich diese Kombination gefunden habe, wusste ich sofort: Das ist es! Und es ist bisher auch genau das Richtige für mich.

Womit beschäftigst Du Dich am liebsten, wenn Du frei hast?

Ich bin jetzt seit ein paar Jahren schon bei den Entrepreneur Talenten dabei und gehörte zu den Aktiven und Engagierten der Gruppe. Jetzt habe ich so langsam das Gefühl, dass die Neuen, die jetzt nachkommen das Ruder übernehmen sollten. Aber ich werde auf jeden Fall in Kontakt bleiben. Man findet darüber echt Freunde und es ist ein sehr besonderer Freundeskreis, den man über die Entrepreneur Talente hat. Ansonsten lese ich extrem viel, momentan gerade ein Buch über das Islamische Recht und wie es mit dem Deutschen Recht kollidiert. Das ist sehr interessant. Dann höre ich gerne Musik, gehe in die Oper, ins Ballett und höre Konzerte. Ein ganz wichtiger Teil sind natürlich auch meine Freunde, mit denen ich viel unternehme. Man entwickelt sich weiter, wenn man viel im Austausch mit anderen ist, redet, diskutiert und sich dadurch an seine Grenzen bringt. Hier in Tübingen habe ich schon viele interessante Menschen kennengelernt, die mein Leben bereichern.

Was hast Du in nächster Zeit für Pläne?

Auf jeden Fall dieses Studium beenden und interdisziplinär bleiben, d.h. ich versuche verschiedene Kurse noch zusätzlich zu belegen. Z.B. mache ich gerade noch einen Jura- und Psychologiekurs. Es ist mir sehr wichtig, im Studium eine große Bandbreite zu haben. Dann möchte ich viel in die Länder reisen, um die es in meinem Studium geht. Im 5. Semester habe ich ein Auslandssemester vor, allerdings muss ich mich noch für ein Land entscheiden, wo ich hin möchte.

Wie würdest Du Dich selbst beschreiben? Was für ein Mensch bist Du?

Wenn ich mich für etwas begeistere, kann ich Sachen sehr gut vorantreiben und dabei auch vorauslaufen und andere mitziehen. Ich kann sehr gut organisieren und Dingen den entsprechenden Rahmen geben. Also für eine gute Atmosphäre sorgen, in der sich Leute wohlfühlen, weshalb ich oft Freunde bei mir zu Besuch habe. Ich kann aber auch gut reflektieren und begründete, konstruktive Kritik geben. Andere nennen mich oft »die Macherin«. Dabei muss ich nur aufpassen, dass ich nicht vorrenne und die anderen zurückbleiben, denn es gibt eben Leute, die müssen erst noch mal ein bisschen darüber nachdenken, bevor sie sich entscheiden.

Du hast 2008 an einem Seminar der Talenteschmiede teilgenommen. Wie hast Du das Seminar erlebt?

Was ich noch genau im Kopf habe, ist das Gefühl, das man hat, wenn man am Ende aus dem Seminar rausgeht. Man fühlt sich bestärkt, aber nicht auf diese platte »Hey, wir schaffen das, wir sind super!« Art, sondern man weiß auf eine ganz ehrliche Weise, wo seine Stärken liegen und kann die dann gezielt fördern. Dieses positive Grundgefühl ist das Wichtigste, was man aus diesem Seminar mitnimmt, dass alle unterschiedlich, aber auf ihre Art besonders sind.

Beschreib mir, was das Entdecken deiner Talente bei Dir ausgelöst hat. Was bedeutet es für Dich, Dir Deiner Talente bewusst zu sein?

Ganz konkret, in fünf Worten, seine Schlüsselqualifikationen zu wissen, ist etwas ganz besonderes. Man hatte ja schon vorher auch ein Gespür für das, was einen ausmacht. Aber das mal genau auf den Punkt zu bringen, ist wertvoll. Für mich war es eine Bestätigung meiner Einschätzung, aber es ist noch mal anders, dass dann so schwarz auf weiß zu haben. Meine Haupttalente sind Intellekt, Ideensammler, Leistungsorientierung, Autorität und Wissbegier. Markus sagte damals zu mir: »Du willst immer alles wissen, Du willst es durchdringen und verstehen und dann willst Du auch noch gut darin sein«. Er hat das sehr gut auf den Punkt gebracht. Für mich persönlich hat das Bewusstsein meiner Talente bedeutet, dass ich verständnisvoller mit mir selbst umgegangen bin. Jedes Talent kann auf seine Weise auch eine Kehrseite, wenn man es zu stark auslebt. Wenn man aber weiß, das man dieses Talent hat, kann man darauf Rücksicht nehmen und auch auf seine Mitmenschen. Auch bei meinen Freunden, deren Talente ich kenne, kann ich darauf Rücksicht nehmen. Ich weiß, wenn jemand aufgrund seiner Talente mehr Zeit braucht und kann das akzeptieren. Alle Talente sind gleich wichtig und deshalb kann man die Menschen viel mehr für das wertschätzen, was sie sind. Wenn man sich mit den unterschiedlichen Talenten, die es gibt, beschäftigt hat, ist es, als ob man eine Landkarte im Kopf hätte oder besser einen Kompass.

Welches Talent ist für Dich besonders wichtig?

Mein Lieblingstalent ist gleichzeitig mein Hasstalent – die Autorität. Meine Mutter hat mir erzählt, dass ich schon im Kindergarten den anderen Kindern gesagt hätte, wie sie zu spielen hätten. Ich bin gerne die »Macherin«, aber ich muss bei sensibleren Menschen aufpassen, dass ich sie nicht überrenne.

Wie hast Du die Erfahrungen aus dem Seminar weitergegeben z.B. an Freunde, Familie, Lehrer etc.?

Ich habe sehr viel mit meiner Mutter darüber diskutiert, was das jetzt konkret heißt, wie ich damit umgehen kann und ob sie diese Talente auch bei mir sieht. Bei meiner Schwester habe ich so viel davon erzählt, dass sie dann auch daran teilnehmen wollte.

Wie gehst Du seither mit Deinen Stärken und Schwächen um?

Prinzipiell glaube ich, dass es am Wichtigsten ist, sich auf seine Stärken zu konzentrieren und sich seiner Schwächen bewusst zu sein. Frauen neigen eher dazu, sich zu fragen, ob sie dies oder jenes auch wirklich schaffen können und ob sie gut genug sind. Männer sagen einfach: »Ja, klar schaffe ich das!« Wenn ich mich auf meine Stärken konzentriere, bestärkt mich das immer wieder und ich traue mir was zu.

Wie haben sich diese Erkenntnisse auf Deine Berufswahl ausgewirkt? Gab es ein »vor dem Seminar« und ein »nach dem Seminar«?

Viele bei mir im Seminar hatten schon ganz klare Vorstellungen und ich war ein bisschen frustriert, weil das bei mir nicht so war. Aber Markus sagte: »Klasse, mit Deinen Talenten kannst Du alles machen, wofür du dich interessierst«. Und ich dachte: »Na toll, was soll ich jetzt damit anfangen«. Inzwischen habe ich verstanden, was er gemeint hat. Da ich mich für so vieles interessiere und begeistern kann, wurde mir klar, dass da keine eindeutigen Berufsvorschläge für mich herauskommen konnten, sondern ganz unterschiedliche Möglichkeiten in Frage kamen.

Hat sich seither etwas in deiner Wahrnehmung gegenüber Deinen Mitmenschen verändert?

Das Wissen um mein Talent hat mich stärker darüber nachdenken lassen, was meine Mitmenschen ausmacht. Ich kann Menschen jetzt besser einschätzen und kann individueller auf sie eingehen.

Wie würdest Du, ganz allgemein, Deine Einstellung beschreiben?

Optimistisch. Ich kann mich schnell für etwas begeistern, was mich auch manchmal nervt, weil ich mich für sehr viel begeistern kann. Das hat zur Folge, dass ich stark aussortieren muss, was ich machen möchte. Andererseits bin ich sehr reflektiert in dem, was ich möchte und was ich nicht möchte. Ich vertraue stark auf mein Bauchgefühl und habe in der Vergangenheit immer wieder erfahren, dass wenn ich mich auf mein Bauchgefühl verlasse, ich die richtigen Entscheidungen für mich treffe. Ich versuche auf mein Umfeld Rücksicht zu nehmen, passe aber auf, damit nicht zu übertreiben, denn ich bin der Hauptmensch in meinem Leben und wenn etwas für mich gut ist – und ich niemanden damit schade – dann mache ich es.

War Deine Einstellung auch mal anders, gab es da Veränderungen? Wodurch wurden die ausgelöst?

Eigentlich nicht. Es gab mal eine Phase, wo ich mich stark zurückgezogen habe. Aber durch das Alleinsein habe ich gemerkt, dass Alleinsein nichts Schlimmes ist und dadurch bin ich selbstbewusster geworden. Nach dem Abitur bin ich für neun Monate nach Madagaskar gegangen und habe dort mit Kindern gearbeitet. Dort hatte ich auch sehr viel Zeit für mich. Die Menschen dort hatten ganz andere Probleme als ich, sodass tiefere Gespräche nicht so wie gewohnt möglich waren. Ich hatte kein Internet und mich auf dem Handy anzurufen war sehr teuer – einmal die Woche habe ich mit meinen Eltern gesprochen. Mein früheres Umfeld war nicht mehr erreichbar. Abends um acht Uhr waren die Kinder im Bett. Und ich dachte: »O.k., was machst Du jetzt?«. Die Bücher hatte ich irgendwann ausgelesen, oft gab es Stromausfall – mir blieb viel Zeit für mich, viel Zeit zum Nachdenken. In dieser Zeit habe ich noch deutlicher gespürt, dass Alleinsein nichts Schlimmes ist. Ich bin ein Mensch, der gerne andere Menschen um sich herum hat, aber ich brauche auch immer wieder das Alleinsein, um die Dinge für mich zu sortieren.

Was kann Dich richtig begeistern?

Ich kann mich für alles begeistern, was mit einer gewissen Tiefe zu tun hat, mit einer bestimmten Abstraktionsebene, sei es künstlerisch, sei es philosophisch. Ich kann mich für alles begeistern, was mit Wandel und Bewegung zu tun hat - z.B. habe ich mich eine Zeit lang intensiv mit Aktienkursen befasst – und ich bin begeistert von starken Unterschieden. Was mich an der Islamwissenschaft fasziniert, ist, dass es eine ganz unterschiedliche Denkweise ist, ein ganz unterschiedlicher philosophischer Ansatz, eine ganz andere Herangehensweise, wie man Sachen bewertet. Das Andersartige interessiert mich, darum bin ich auch nach der Schule nach Madagaskar und nicht als Au Pair nach Frankreich. Die Kehrseite davon ist, dass wenn man das andere kennenlernen will, selbst auch anders ist, immer ein Fremdkörper bleibt. In Madagaskar habe ich gemerkt, dass ich, weil ich weiß bin, anders behandelt wurde. Vorher dachte ich, jetzt gehe ich da hin und erfahre, wie die Menschen dort leben. Aber man kommt als Weiße nur bis zu einer bestimmten Ebene. Ich werde nie wissen, wie es sich anfühlt, Madagasse zu sein, ich werde nie wissen, wie es sich anfühlt ein muslimisches Mädchen zu sein, das in einer autoritären Familie aufgewachsen ist. Diese Erkenntnis war nicht leicht für mich, weil ich verstehen möchte, aber das an diesem Punkt nicht funktioniert. Diese Erfahrung hat mich zu der Frage nach meinen Wurzeln gebracht und auch zu der philosophischen Frage, warum ich, Sarah, in einer weißen Familie in Europa geboren bin, wo es mir gut geht und meine Eltern mir so viel ermöglichen konnten. Und warum ist dieses Kind, so intelligent wie ich, auf Madagaskar geboren und hat kaum Chancen im Leben bekommen, warum ist das so unfair. Das hat mich sehr stark umgetrieben. Das ist die Frage nach Fügung und Schicksal und die Frage, ob es einen guten oder einen bösen Gott gibt. Als ich mir bewusst gemacht habe, dass ich in denkbar günstigen Umständen lebe, eine Schulausbildung machen konnte, jetzt sogar studieren und wissenschaftlich arbeiten kann, Bücher und Internet zur Verfügung habe, politische und juristische Stabilität herrscht, wurde mir auch die Verantwortung bewusst, die damit einhergeht: Ich möchte versuchen, mit meinem Leben etwas zu bewirken. Eine Konsequenz war auch, dass ich nach Madagaskar mit Leuten nicht mehr konnte, die nichts mit ihrem Leben anfangen, die wie ein Schluck Wasser in der Kurve hängen, keine Ideen haben und nicht wissen, was sie machen sollen. Für solche Leute habe ich keine Geduld mehr.

Worauf freust Du Dich in nächster Zukunft am meisten?

In nächster Zeit habe ich ein paar coole Reisen geplant, auf die ich mich freue. Die eine Reise geht nach Südspanien, wo wir nach arabischen Einflüssen von damals suchen. In der Gruppe sind auch einige muslimische Kommilitonen dabei und es wird extrem spannend sein, weil wir damit umgehen müssen, aus unterschiedlichen Kulturen zu kommen. Auf lange Sicht freue ich mich in fünf Jahren mit meinen langjährigen Freunden zusammenzusitzen und zu sehen, wo es uns hin verschlagen hat. Ich bin sehr gespannt, was in meinem Leben so passieren wird und ich freue mich total darauf.

Wo möchtest Du in zehn Jahren stehen?

Dann habe ich bereits Erfahrungen in der Wirtschaft gemacht, entweder weil ich mich selbstständig gemacht oder in einem Unternehmen gearbeitet habe. Ich habe also schon etwas erreicht bzw. »geleistet« und verfüge über einen gewissen Background, der ernst genommen wird. Schon jetzt bin ich dabei, mir ein passendes mittelständisches Unternehmen in Baden-Württemberg zu suchen, wo ich Praktika machen und nach dem Studium einsteigen kann. Mit dieser Erfahrung möchte ich dann in die Entwicklungshilfe gehen. Danach möchte ich eine Familie gründen und eine Familienzeit nehmen bzw. eine gute Balance zwischen Beruf und Familie finden, das ist mir extrem wichtig. Wenn die Kinder größer sind, kommt eine neue Phase, zwischen fünfzig und sechzig, wo ich mich für künstlerisch-karitative Projekte engagieren möchte. Frauen in dem Alter haben so viel Energie, dass sie echt noch was reißen können, das sehe ich an meiner Mutter. In der Phase geht es eher darum, sein Wissen und seine Erfahrung weiterzugeben und andere zu fördern oder zu unterstützen.

Im hohen Alter möchte ich ein Weingut haben, in dem sich Künstler, Politiker und andere spannende Leute treffen, wie früher in den Salons.

Mir ist es wichtig so einen klaren Plan zu haben, das Leben wird dann sowieso noch für Überraschungen sorgen. Ich muss das nicht Punkt für Punkt umsetzen, aber ich möchte nicht planlos durchs Leben gehen. Es hilft viel, zu wissen, wo man hin möchte. Wenn man seine Ziele sehr konkret definiert, erreicht man sie eher, ist erfolgreicher und damit zufriedener.

Was würdest Du sagen: Worauf kommt es an im Leben?

Auf gute Freunde. Wenn man zwei, drei oder vier gute Freunde hat, auf die man sich verlassen kann, dann passiert einem nichts. Was noch ganz wichtig ist: Dankbarkeit, Wertschätzung dessen, was man hat. Man sollte zufrieden sein mit dem, was man erreicht hat, und nicht neidisch sein auf andere. Jeder hat andere Voraussetzungen und daraus sollte jeder versuchen das Beste zu machen.

Was gibst Du den Kids von heute mit auf den Weg?

Das ist jetzt vielleicht ein bisschen unverantwortlich, aber ich sage es trotzdem: »Probiert alles aus, was geht und reflektiert es danach. Hört in Euch rein und vertraut darauf, dass das, was ihr da hört, richtig ist«. Es geht darum, viel auszuprobieren, nicht so viel zu zögern oder abzuwägen, aber wenn man bei einer Sache kein gutes Gefühl hat, dann sollte man es lassen.

Dein Motto?

Es gibt so viel kluge Sprüche auf der Welt. Das kommt auf die Situation an. Als ich nach Madagaskar ging, habe ich immer Laotse im Kopf zitiert: »Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt«. Es ist leicht, sich vorzustellen, wie es in Madagaskar sein wird, aber auf dem Flughafen die ersten Schritte dahin zu machen und die anderen zurückzulassen, das stellt man sich vorher nicht vor. Sehr geprägt hat mich auch Adorno, der sehr kluge Sachen gesagt hat, wie: »Das Ganze ist das Unwahre«. Aber mir gefällt auch die Nike Werbung »Just do it«. Das kann man auch dauernd anbringen. So gesehen habe ich kein bestimmtes Motto. Vielleicht ist mein Motto einfach »leben«.

Noch was will ich sagen: Als damals bei den EntrepreneurTalenten der Wechsel kam und wir nicht mehr von der NaturTalent Stiftung begleitet wurden, war das für uns alle sehr hart. Wir fühlen uns Euch so verbunden. Und wenn von Euch irgendwelche Anfragen kommen, glaube ich, dass alle von uns durch die Bank »Ja« sagen würden. Ihr seid unser emotionales Zuhause.